Warum aus Cerna Chai wurde?

Warum aus Cerna Chai wurde?


Das ist eine der vielen Fragen, die in Verbindung mit unserem Blumenmädchen stehen.

Warum? Das poppt immer wieder auf.

Chai hatte es von Anfang an nicht leicht. Sie war unsere Läuferin, die die Wurfbox umrundete. Ich schrieb das immer so lustig. War stolz auf sie, weil sie schon in den ersten Tagen so viele Meter zurücklegte. Scherzte, dass sie für den Marathon trainiert und, dass wenn wir einen C behalten würden (was nie in Frage kam) es wohl sie wäre, meine Weitwanderin.

Aber in Wirklichkeit hatte sie ein Handicap! Sie fand die Mutter nicht, sie fand die Zitzen nicht. Ohne unserer Hilfe wäre sie verhungert. Tierarzt Horst sagte, dass unser C Wurf in der freien Natur ein 6er Wurf geworden wäre. Dass sich Carlos so prächtig entwickelt hat, dass sein Beinchen ganz normal wurde, dass er ein toller, verschmuster, wenn auch vielleicht etwas kleinerer Akita Rüde werden wird, hat er nur uns zu verdanken.
Er war in der Entwicklung etwas hinten, brauchte immer wieder etwas Hilfe. Beinchenmassagen und Zitzenmanagement haben ihn aber sich zu einem normalen Hund entwickeln lassen.

Chai hatte leider nicht so viel Glück. Auch bei ihr hofften wir, dass sie einfach nur etwas hinten in der Entwicklung sei. Auch bei ihr hofften wir, dass sie die Äugleins noch öffnet, auch bei ihr hofften wir, dass sie sehen wird. Das wird sie nicht.

Jeden Tag nach dem 16. Lebenstag wartete ich vergeblich, dass auch sie mich anblinzelt. Ganz kleine Schlitze waren ja zu sehen und damit eine große Hoffnung verbunden. Aber der Impuls zum Aufmachen fehlte, denn dieser kommt von den Augäpfeln und diese waren zu klein.

Wir fuhren nach Gießhübel ins Tier-Augen-Zentrum. Wir fuhren zu Dr. Günther Maas, wir waren bei unserem Tierarzt Horst, wir waren bei unserem Tierarzt Gerhard. Gelesen haben sie alle davon, kaum einer hat es bisher selbst gesehen.
Chai hat unterentwickelte Augäpfel.
Wenn wir viel Glück haben, wird sie vielleicht hell / dunkel wahrnehmen können, die Chance schwindet aber zunehmend.

Als diese schreckliche Tatsache, die ich bereits befürchtete, bestätigt wurde, war ich sehr traurig. Ich war für Chai traurig. Sie wird nie die Wunder dieser Welt sehen können. Sie wird nie am Gipfel eines Berges die umliegenden Bergspitzen betrachten können. Sie wird nie am Strand stehend den Sonnenuntergang im Meer bewundern können. Sie wird nie das saftige Grün unseres Waldes wahrnehmen können und wie es sich im Herbst braun verfärbt. Aber das ist ihr alles wahrscheinlich egal. Das sind Dinge, die mir wichtig sind. Sie weiß ja gar nicht, dass es das alles gibt.

Damit versuche ich mich etwas zu trösten. Sie wird genauso ein wunderbares Leben haben, nur ein etwas anderes. Sie wird sich einfach auf die anderen Wunder der Natur konzentrieren. Das freudvolle Zwitschern der Vögel in den Morgenstunden, den Geruch von Regen noch bevor dieser da ist, das Nachgeben von weichem Moos im Wald oder den Geschmack von Löwenzahn. Letzteres lernte sie sehr bald kennen, deswegen ist sie auch unser „Blumenmädchen“.

Sie entwickelt sich natürlich etwas anders, sie ist viel ruhiger und schläft sehr viel. Ob das jetzt ist, weil sie mehr Schlaf braucht? Es ist sicher für Chai alles anstrengender. Sie läuft immer noch sehr viel herum, auf der Suche nach etwas? Wahrscheinlich. Aber nach was? Vielleicht läuft sie auch alles ab und kartografiert es für sich, um sich eine mentale Karte der Umgebung zu zeichnen. Das ist nicht leicht. Die Umgebung verändert sich. Mal ist sie im Wohnzimmer. Da scheint sie sich schon sehr gut zurechtzufinden, auch wenn hier oft Sachen umgestellt werden. Mal ist sie im Gehege, mal auf der schrägen Wiese vorm Haus. Diese Wiese scheint Chai schon recht gut zu kennen. Das ist das Platzerl, wo ich die Welpen seit drei Wochen in der Nacht zum Pinkeln raussetze.

Das funktioniert übrigens schon perfekt. In der Nacht stelle ich mir zwar den Wecker, aber meist weckt mich davor ein Welpe auf, in dem er vor der Terrassentür meldet. Dann schnapp ich mir ihn und Chai, mach die Tür auf und geh auf die Wiese. Die anderen folgen sofort und es wird gepinkelt, was das Zeug hält. Zum großen Geschäft gehen die Cs schon alle sehr weit weg, ja nicht den eigenen Bereich verschmutzen!

Alle außer Chai. Für sie ist das ganze Ritual recht schwierig. Sie wird hochgehoben und ist auf einmal ganz wo anders. Das muss sehr verwirrend sein. Wir warnen sie zwar immer vor und sie bereitet sich schon auf‘s Hochheben vor, aber sie weiß nie, wohin es geht. Auf der Wiese hat sie ihre drei Plätzchen, wo unterschiedliche Blumen wachsen. Diese geht sie ab. Aber anders als ihre Geschwister, die nach erfolgreicher Pinkelpause wieder zurück über die Rampe ins Wohnzimmer gehen, bleibt sie einfach irgendwo liegen. Sie ruft mich auch nicht. Sie würde dort einfach ganz allein liegen bleiben. Das stimmt mich immer so traurig.

Im Gehege haben die Welpen ihre Spielwiese zum Herumtoben. Da gibt es eine Wippe, ein Klettergitter, eine Holzpalette, ein Tipi, … alles coole Geländeergänzungen zum Spielen, Erklimmen, Erkunden.

Nicht für Chai. Für sie sind es Hindernisse, die ihr das Leben schwer machen. Vor allem wenn sie auch noch von einem Mal auf das andere woanders stehen. Sie lief anfangs recht viel rückwärts. Der Grund war wahrscheinlich, dass es weniger schmerzhaft ist, mit dem Popo wo anzurennen, als mit der Nase. Und sie rennt recht oft wo dagegen. Ihre Geschwister tollen immer wilder herum. Chai versucht es natürlich auch, aber es endet eigentlich immer damit, dass sie wo dagegen knallt. Aber sie lässt sich Gottseidank nicht entmutigen. Es ist eine Freude Ihr zuzuschauen, wenn sie bei ihren Erkundungsrunden dann mal auf ein Spieli trifft und dieses mit großer Freude aufnimmt und versucht, es zu Tode zu schütteln. Da darf sie dann auch ein ganz normaler, verspielter Welpe sein.
Auch das Spielen mit ihren Geschwistern funktioniert eigentlich ganz gut und recht normal. Sie kann zwar kein Nachlaufen spielen und auch die optischen Spielaufforderungen werden natürlich nicht erkannt, aber das spielerische Herumknabbern aneinander läuft nach dem selben Muster ab, wie unter ihren sehenden Geschwistern. Es passiert auch ein gesunder Wechsel zwischen oben und unten, was für ein ausgewogenes Spielen wichtig ist. Unsere Befürchtung, dass sie durch ihre Behinderung gemobbt werden würde, bewahrheitet sich zum Glück nicht. Einzig die Situation, wenn mehrere Geschwister gleichzeitig mit ihr spielen wollen, überfordert sie schnell und sie lässt dann ein leicht gequältes Welpen-Gebelle aus. Da sind wir dann aber gleich zur Stelle und lösen die Situation auf.

Insgesamt ist sie eine ganz entspannte, süße kleine Dame, die langsam, aber aufmerksam ihre Umgebung erkundet und die es jedenfalls als zärtlichste unter ihren Geschwistern schafft, unsere Herzen zu erwärmen.

Was nun?

Wir haben im dritten Wurf erstmals zwei Welpen, die sich nicht 100% nach Plan entwickelt haben. Paradoxerweise wäre es Carlos gewesen, dem eigentlich keine Überlebenschancen gegeben wurden und der sich nun wie von uns erhofft zu einem lustigen, aufgeweckten und gesunden, wenn auch vielleicht etwas schmächtigeren Prachtkerl entwickelt hat. Nicht auszudenken, wenn wir nicht auf unser Bauchgefühl gehört und seinem jungen Leben ein absichtliches Ende gesetzt hätten. Die anfangs unauffällige Chai hingegen wird ihr Leben lang eine große Einschränkung haben. Die sogenannten „professionellen“ Züchter würden das vielleicht anders lösen, aber für uns steht es natürlich außer Frage, dass wir ihr genauso wie allen unseren anderen Schützlingen eine tolle Zukunft ermöglichen und für sie die richtige Familie finden wollen, denn wir glauben fest daran, dass auch auf Chai irgendwo das perfekte Platzerl wartet. Natürlich darf sie bei uns bleiben, falls das nicht der Fall sein sollte und wir werden sie liebevoll in unsere Familie integrieren. Wir haben es zwar immer ausgeschlossen, dass wir aus diesem Wurf einen Hund behalten, als einzigen Grund nannten wir aber immer die Möglichkeit, dass wir einen unvermittelbaren Welpen bekommen würden, dieser Fall ist nun vielleicht eingetreten. Wir empfinden zwei bis drei Hunde optimal, bei vier hatten wir schon das Gefühl, dass wir nicht mehr allen die ihnen zustehende Aufmerksamkeit zukommen lassen konnten.

Wir sind aber, auch wenn es mir das Herz bricht, das zugeben zu müssen, alles andere als optimal für Chai. Auch wenn die Hunde uns immer überall hin begleiten, sind wir trotzdem sehr viel unterwegs. Wir reisen viel und gerne, sind daher oft an unterschiedlichen und neuen Orten und machen gerne anspruchsvolle Wander- und Bergtouren. Auch die Tatsache, dass wir gerade unseren Einreichplan fertig machen und die nächsten ein bis zwei Jahre eine Baustelle unseren Lebensraum bestimmen wird, ist alles andere als eine optimale Umgebung zum Aufwachsen für eine sehbehinderte Junghündin. Unser Blumenmädchen braucht eine gesetzte, ruhige Familie, ein Zuhause voller Geborgenheit und Stetigkeit, eine feste, unverändertere Umgebung. In meiner Vorstellung wäre es ein älteres Ehepaar mit einem erwachsenen, ruhigen Hund, die ihr durch ihr Leben helfen … wenn ich es mir wünschen darf, möglichst in meiner Nähe.

Und warum wurde nun aus Cerna Chai?

Cerna bedeutet in den slawischen Sprachen ja „schwarz“. Wir gaben ihr diesen Spitznamen wegen ihrer schwarzen Zeichnung, haben es aber dann sehr unpassend gefunden, einen blinden Welpen mit „schwarz“ in Verbindung zu bringen. Daher nahmen wir die Eingebung einer Freundin an und gaben ihr den neuen Namen Chai, v.a. auch als Erinnerung an den indischen Namen unser geliebten Vaishavi.

im Zauberwald im Zauberwald
hinterm Labirynth hinterm Labirynth
auf Erkundungstour auf Erkundungstour
Spielzeug ... Spielzeug ...
... oder kein Spielzeug ... oder kein Spielzeug
ein Schlafplatzerl abseits des Troubles ein Schlafplatzerl abseits des Troubles
mit Nanami mit Nanami
nachlaufen nachlaufen
das Näschen arbeitet das Näschen arbeitet
auf der Wiese auf der Wiese
erster Ausflug erster Ausflug
mit der großen Schwester Mizumi mit der großen Schwester Mizumi
spielend mit den Geschwistern spielend mit den Geschwistern

(2) Comments

  1. Meine Tenshi hat am 6. Mai ihre 6 Baby’s bekommen. Der Papa den sich selber ausgesucht hat ist zwar ein Aussie-Mix, aber die Kleinen kommen ganz nach der Mama.
    Warum ich aber schreibe, ist wegen der Frage warum und wieso. Alle Wirkung hat immer eine Ursache, die für uns jedoch meist unbekannt ist. In den Büchern von Jozef Rulof findet man die Antworten dafür, auch wenn sie eigentlich für den Menschen geschrieben wurden. Doch Mensch und Tier sind ja nicht allzu weit voneinander entfernt. Die Bücher gibt es übrigens auch kostenlos als E-Book und PDF.
    Weiterhin eine gute Zeit…!

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